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Schulstart: Tränen am Morgen. Warum sie so wichtig sind

Heute ist Freitag. Es ist die 2. Schulwoche meiner großen Tochter in der 1. Klasse und der Abschied fiel ihr sehr schwer. Sie war nicht die Einzige. Es gab so einige Kinder, die geweint haben.


Und weißt du was? Ich kann das so, so gut verstehen und für mich ist das völlig okay und normal.


Diese Kinder sind fünf, sechs, vielleicht sieben Jahre alt. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich in einer völlig neuen Umgebung sofort zurechtfinden. Neue Mitschüler, neue Lehrer, ein großes Gebäude, fremde Abläufe. „Mach das, du schaffst das.“  „Stell dich nicht so an.“  „Hör auf zu heulen.“ Sind nur ein paar der Sätze, die ich da von den Erwachsenen höre. Aber wie soll ein Kind das auf Knopfdruck können?


Im Kindergarten gab es noch die behutsame Eingewöhnung. Stück für Stück, mit Mama oder Papa an der Seite, so lange, bis Sicherheit da war. In der Schule ist das anders. Plötzlich heißt es: loslassen, funktionieren, Platz nehmen, auch wenn man das Kind neben sich (noch) nicht kennt. „So lernst du neue Kinder kennen“, wird gesagt. Für viele Kinder fühlt sich das aber nicht nach Abenteuer, sondern nach Zwang an.


Wenn ich mich in diese Kinder hineinversetze, höre ich manchmal innere Stimmen wie:

„Ich kenne hier niemanden. Warum darf ich nicht neben meiner Freundin sitzen?“„Ich habe Angst, dass ich etwas falsch mache.“„Wird Mama wirklich wiederkommen?“„Es ist alles so groß.“

Und dann fließen die Tränen.


Und ich finde, dass das nicht nur verständlich ist, es ist gesund.


Stell dir vor, du fängst einen neuen Job an. Du kennst das Gebäude nicht, die Abläufe nicht, die Aufgaben nicht, die Kollegen nicht, die Chefs nicht. Alles neu, alles fremd. Wärst du sofort sicher und wäre dir leicht ums Herz? Vermutlich nicht.


Und genau das fühlen unsere Kinder. Mit dem Unterschied, dass sie noch keine Erfahrungswerte haben, an denen sie sich festhalten können. Sie haben nur ihre Gefühle.

Darum sage ich: Lasst sie doch weinen. Lasst sie traurig sein. Lasst sie ihre Emotionen spüren.

Die Tränen am Morgen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie sind ein Zeichen von Mut. Sie zeigen, dass ein Kind sich gerade mit einer riesigen Herausforderung auseinandersetzt.


Und wisst ihr was? Am Nachmittag hole ich ein fröhliches Kind ab. Nicht nur mein eigenes, denn die meisten Kinder strahlen, lachen, erzählen. Sie haben es geschafft. Sie haben sich eingefügt, sie haben ihren Weg gefunden. Und ich finde: Die Tränen am Morgen sind genauso wichtig wie das Lachen am Nachmittag.



ree

Praxis-Impulse für Eltern

👉 Gefühle spiegeln: Sag deinem Kind nicht „sei stark“, sondern benenne, was du siehst: „Du bist gerade traurig, weil es so ungewohnt ist.“ Das schafft Verbindung.

👉 Ein Abschiedsritual: Ein Kuss ins Handgelenk, ein kleiner Stein in der Tasche oder ein Satz wie „mein Herz bleibt bei dir“. Rituale geben Halt.

👉 Vergleich mit Erwachsenen: Erkläre deinem Kind, dass auch Erwachsene bei etwas Neuem nervös sind. So fühlt es sich nicht „falsch“, sondern verstanden.

👉 Nachmittags-Rückschau: Frag nicht sofort „Wie war die Schule?“, sondern lass dein Kind erzählen. Das verstärkt das Gefühl: Ich werde gesehen.

👉 Eigene Ruhe ausstrahlen: Kinder fühlen die Unsicherheit ihrer Eltern. Je mehr du vertraust („du schaffst das“), desto leichter kann dein Kind den Schritt gehen.

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